Unterricht in Zeiten von Corona - Teil 2

Nach sechs Wochen Fernunterricht, war es endlich wieder so weit: die Schulen und damit auch die Musikschulen durften wieder öffnen. Was für eine Erleichterung! Und dennoch ein mulmiges Gefühl. Denn ich reise viel fürs Unterrichten und auch fürs Konzertieren. Und ich muss zugeben: nach dieser Zeit beginnt man es auch ein wenig zu geniessen, dass man zu Hause sein darf. Aber trotzdem war das ständige zu Hause sein auch langweilig. Ausser Spazierengehen und Einkaufen war ja nicht viel los.

 

Ein mulmiges Gefühl hatte ich aber vor allem deswegen, weil ich wusste, dass wir von nun an mit dem Virus leben mussten. Auch als Musikpädagogik*innen. Was bedeutet das? Von nun an war im Unterricht einiges anders. Vorerst waren keine Konzerte oder Veranstaltungen erlaubt, wir mussten Abstand halten und wir durften auch die Noten nicht tauschen. Ebenso mussten die Schüler*innen lernen, ihre Hausaufgaben selber einzutragen. Und sie mussten daran denken, ihre eigenen Schreibsachen und Noten zum Unterricht mitzubringen. Alles in allem eine nervenaufreibende und spannende Herausforderung zugleich! Hinzu kamen neue, wichtige Aufgaben. Darunter das Desinfizieren der Türgriffe, Instrumente, Notenständer und Klavierstühle. 

 

Aber: Endlich konnte man wieder gemeinsam spielen! Endlich durfte man sich wieder live sehen! Ich war ja schon so gewohnt an den Fernunterricht, dass ich in den ersten par Lektionen völlig vergessen habe, was das für ein Erlebnis ist. Endlich wieder die 1 zu 1 Situation, welche den sozialen Austausch ermöglicht, Musik erlebbar, spürbar, fühlbar macht. Das habe ich enorm genossen. Und ich geniesse es immer noch! Das ist es doch, was unseren Einzelunterricht ausmacht: die Schüler*innen erhalten die ungeteilte Aufmerksamkeit der Lehrperson* und das während 25, 30, 40, 50 oder sogar 60 Minuten. Das ist enorm wichtig für sie. Insbesondere auf der zwischenmenschlichen Ebene. Denn die Lehrperson* im Musikunterricht kann auch eine Bezugsperson*, insbesondere für jugendliche Schüler*innen, darstellen. Oft geht im gewohnten Alltag genau dieses kleine aber zentrale Element unseres Unterrichts vergessen.

 

An der Musikschule Worb leite ich seit diesem Jahr das Musiklager, das uns nun ebenfalls vor besondere Herausforderungen stellte. Denn durch die Planungsunsicherheit fehlten auch die Anmeldungen. Insgesamt fünf waren es vor den Sommerferien. So entschieden wir im Planungsteam, dieses Jahr eine Musikwoche in der Musikschule selber, statt in Schönried, durchzuführen. Wie sich später herausstellte, trafen wir die Entscheidung mit  Erfolg, denn zuletzt hatten wir 15 Anmeldungen und die Schüler*innen konnten enorm viel Neues mitnehmen, was nachhaltig in den Musikunterricht einfliesst. Ebenso wurden neue Freundschaften geschlossen und durch das Thema "Improvisation" die Kreativität der Schüler*innen gefördert und gefordert. 

 

Aber zurück zum Einzelunterricht. Allmählich gewöhnte man sich an die kleinen Aufgaben, die nun zum "normalen" Unterrichtssetting hinzukamen. Rückblicke und Austausche zum Fernunterricht gemeinsam mit anderen Lehrpersonen* und den Schulleitungen* kamen hinzu. Was für spannende Erlebnisse wir uns zu erzählen hatten! Der Fernunterricht hat mir aufgezeigt, wie wichtig der Austausch im Kollegium ist. Wir alle wurden ja urplötzlich in die Digitalisierung hineingeworfen. Das machte es und macht es immer noch spannend. Neue Erkenntnisse aus einer Situation zu ziehen. Offenheit zu zeigen. Das bringt uns alle weiter, egal in welchem Beruf.

 

Und dann ging es in die wohlverdienten Sommerferien. Zeit für Erholung. Auch für mich. Mit einer kleinen Delegation des Teams der Musikschule Solothurn, die ich schweren Herzens letzten Sommer verlassen habe, reiste ich zur alljährlichen Teamreise nach Leipzig. Die Bach-Stadt. Was für eine spannende Stadt! Alsbald merkte ich, wie sehr Reisen inspirieren können. In einer Zeit, in der alltägliche Erlebnisse nicht selbstverständlich sind, lernt man diese gleich mehr zu schätzen. Zudem entschied ich mich, trotz heikler Situation, meinen persönlichen Urlaub in Italien zu verbringen. Denn mein Italiener-Herz blutete, wenn ich an die Situation dachte, welche die Tourismusbranche dort nun durchmachen musste. Zehn Tage im Hotel an der Adria, wo ich zahlreiche Urlaube mit meinen Eltern und meiner Schwester verbrachte, sollten es sein. Dieses Jahr sogar im Zimmer mit Meerblick. Auch um den allfälligen Menschenmassen zu entgehen. Coronabedingt. Mein Fazit: das würde ich jederzeit wieder machen! Denn man konnte Abends auf dem Balkon das eine oder andere Glas Wein geniessen und dem leisen Rauschen der Wellen lauschen.

 

Gut erholt und braungebrannt kamen wir Lehrpersonen*  alle wieder zurück an die Musikschulen. Neue Situationen ergaben sich auch an den Startkonferenzen. Eine Startkonferenz draussen an der Sommersonne mit genug Abstand zwischen den Teilnehmer*innen. Insbesondere im Bonstettenpark des Schloss Bellerive der Musikschule Region Thun ist das ein einzigartiges Erlebnis. Vielleicht wird das bald Tradition? Neue Themen gab es an allen Schulen zu besprechen. Welche Erkenntnisse ziehen wir aus dem Fernunterricht? Mit welchen Herausforderungen wurden wir konfrontiert? Welche Vorteile für die Zukunft im Musikunterricht kann uns die Digitalisierung bringen? Das ergab spannende Diskussionen.

 

Ebenso galt es, gemeinsame Projekte zu besprechen. Denn alle Lehrpersonen* waren in der unangenehmen Situation, dass durch die fehlenden Werbeveranstaltungen an Musikschulen auch der Zuwachs an Schüler*innen fehlte. Und leider war auch ein Abgang spürbar. Wir mussten uns deshalb alle neu erfinden und kreativ werden. Aber Kreativität ist ja bekanntlich unsere Stärke. Sonst wären wir keine Musiker*inen. Und das ist durchaus ein Vorteil. So entstanden trotz Planungsunsicherheit spannende Gespräche und Ideen für gemeinsame Projekte. 

 

Voller Elan startete ich also ins neue Schuljahr. Mit drei ziemlich vollen Unterrichtstagen und Schüler*innen aus allen Altersklassen, von 7 bis ü70. Ziele wurden besprochen, Wünsche entgegengenommen und alles fühlte sich fast wie vor der Pandemie an. Aber eben nur fast: denn die Massnahmen im Unterricht mussten ja weiterhin eingehalten werden. 

 

Und nun sind wir bereits im Herbstquartal angelangt. Endspurt vor den Weihnachtsferien. Wie sieht die Situation heute aus? Wir unterrichten mit Maske, halten nach wie vor Abstand und dürfen vorerst keine Schüler*innenkonzerte mit Publikum durchführen. Klar, wir Lehrpersonen* müssen eine Vorbildfunktion einnehmen. Und es steht meiner Meinung nach ausser Frage, dass wir die Massnahmen einhalten.  Aber: die Situation nagt zunehmend an der Motivation aller Schüler*innen. Und trotz allem geben sie sich stark und machen mit dem Musizieren weiter. Ich bewundere das. Es zeigt, welche Kraft die Musik bei uns allen in dieser ungewissen Zeit hat. Sie gibt uns Halt. Und sie ermuntert uns. Täglich. Das motiviert auch mich. Und so suche ich gemeinsam mit meinen Kolleg*innen nach neuen Formen, Konzerte trotz allem durchführen zu können. Etwa durch Aufnahmen, die man auf USB-Sticks lädt. Das hat durchaus einen positiven Effekt, denn die

Schüler*innen können die Videos auch in zehn Jahren noch anschauen und sich an den tollen Musikunterricht von damals erinnern. 

 

Ich bin gespannt, was uns die Zukunft noch alles bringt. Gleichzeitig bleibe ich zuversichtlich. Denn erstens haben wir meiner Meinung nach keine andere Wahl. Zudem bin ich mir sicher, dass insbesondere in ungewissen Zeiten dem Wert der Musik oder des Musikunterrichts noch mehr Bedeutung beigemessen wird. Und somit könnte sich in Zukunft das gesamte Kultur- und Musikverständnis auch positiv auf unsere Gesellschaft auswirken. 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Mam (Sonntag, 22 November 2020 13:43)

    ��Freue mich schon jetzt auf weitere solche Beiträge von dir aber auch von vielen andern Lehrpersonen wäre interessant.��